Vor zehn Jahren entschied ich mich, gemeinsam mit Tim Jonischkat eine Dokumentation über die damals vergleichsweise seltene Spezies der digitalen Nomad:innen in Deutschland zu produzieren. In der Konsequenz führte ich selbst ein solches Leben. Mein Antrieb? Damals wie heute ein ortsunabhängiges Leben zu führen, mit dem Ziel, viel zu reisen und von unterwegs aus zu arbeiten. Für die Doku hatte ich 2014 auch Tim Chimoy befragt, der sein Leben als lokaler Architekt gegen das multilokale Leben eines digitalen Nomaden eingetauscht hatte. Zehn Jahre später habe ich ihn erneut getroffen und er hat mir im Interview verraten, warum er sich heute nicht mehr als "klassischen" digitalen Nomaden sieht. Welche Veränderungen sieht er bei sich und welche in der Community?

Zunächst machen wir eine kleine Zeitreise und gehen zurück ins Jahr 2014, als Tim sich noch selbst als digitaler Nomade bezeichnet hatte. Doch schon damals konnte ich zwischen den Zeilen heraushören, dass der gelernte Architekt niemand ist, der nur unterwegs sein möchte:

Zehn Jahre später treffe ich Tim wieder und gleich zu Beginn unseres Gesprächs steigt Tim mit einer knackigen Aussage ein: "Für mich ist der Begriff digitaler Nomade eigentlich ein reiner Marketingbegriff". Stattdessen sieht er sich nun als digitaler Siedler, also als jemanden, der wirklich vor Ort lebt, dort wo er sich gerade befindet. Das können ein, zwei oder drei Orte sein, eben multilokal. In seinem Fall ist es derzeit das thailändische Chiang Mai und ein Ort in Europa, der gerade neu sortiert wird. Früher war es Berlin, in Zukunft vielleicht schon bald Budapest.

"Ich verbringe die meiste Zeit an nur zwei Orten"

Dass der Ausdruck "digitaler Nomade" aber seine Berechtigung hatte oder hat, leuchtet Tim durchaus ein: "Letztendlich ist es ja das, was man im Marketing macht: Storytelling." Mit diesen beiden Wörtern könne man schließlich ein wunderbares Bild erzeugen. "Für mich finde ich die Bezeichnung digitaler Siedler eigentlich mittlerweile ganz charmant, weil sie ausdrückt, dass ich einerseits örtlich frei bin, indem ich reisen und arbeiten kann. Andererseits verbringe ich die meiste Zeit an nur zwei Orten. Und an diesen bin ich schon sehr stark verankert."

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Marketingbegriff hin oder her – die meisten Medien haben sich auf den Ausdruck des digitalen Nomaden eingeschossen, wie ein vergleichsweise aktueller Beitrag der WirtschaftsWoche zeigt. Kernaussage: Da immer mehr Arbeitgeber ihre Beschäftigten remote arbeiten lassen, ergebe sich ein völlig neues Tourismuspotenzial.

Dass es nur zwei Orte sind, die heute Tims hauptsächlicher Lebensmittelpunkt sind, liegt an seiner intrinsischen Motivation, Orte der Gemeinschaft und Räume der Fokussierung zu schaffen. Weniger ist mehr. Noch im Interview vor zehn Jahren erzählte er mir in der Doku von seinen "Hummeln im Arsch", sobald er sich länger irgendwo aufhielt. Das dürfte sich nach zehn Jahren grundlegend verändert haben. Er hat die Freiheit gewählt, das zu tun, was er möchte und sich vom Framing verabschiedet, das viele Medien und Nomaden-Influencer lange Zeit geprägt haben.

Doch was macht der selbst ernannte digitale Siedler heute? Wie fühlt sich sein neues Leben an und wie blickt er auf die Veränderungen in der Welt der vielreisenden Freelancer?

Vom digitalen Nomaden zum digitalen Siedler –  die soziale Dimension

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